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Fanfiction

Episode No. 20 - Sparkle

written by Torben Groth

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About this story

Published: 05 Feb 2000 | Size: 56 KB (10297 words) | Language: deutsch | Rating: PG-13
Average: 4.0/5   4.0/5 (6 votes)

based on stories and characters created by Winnie Holzman

Schweigend lenkte Jordan den Wagen durch die dunklen Straßen ihrer Heimatstadt. Er fuhr weiter und weiter, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben oder überhaupt noch genau zu wissen wo sie sich befanden. Seit dem sie losgefahren waren hatten beide noch kein Wort gesprochen und eine angespannte Stille erfüllte den Wagen. Jordan spürte das Angela verwirrt war und über etwas nachdenken mußte. Er fragte sich ob Brian ihr die Wahrheit erzählt hatte, was er aber eigentlich nicht so recht glaubte. Aber gab es eine andere Erklärung für Angelas seltsames Verhalten? Über was hatte sie mit Brian geredet? Wieso sprach sie nicht mit ihm? Er warf einen kurzen Blick in ihre Richtung, aber es schien als wäre sie mit ihren Gedanken ganz weit fort. Er wußte wieder einmal nicht was er tun sollte und so richtete er seinen Blick wieder auf die Straße und fand auch gleich eine Möglichkeit sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Wo zum Teufel waren sie überhaupt.
Während Jordan zu überlegen anfing wie sie wieder in bekannteres Gelände vordringen konnten bekam Angela von all dem nicht viel mit.
Ihr Körper fuhr zwar in dem Wagen mit, aber ihre Gedanken waren immer noch bei Brian, den sie so einfach hatte stehen lassen. "Ich hab alles so gemeint!" Was bedeutete das? Liebte er sie etwa? Ausgerechnet Brian, den sie schon so lange kannte? Konnte das sein? Hätte es ihr nicht auffallen müssen? Oder war sie einfach zu sehr mit ihren eigenen Gefühlen beschäftigt gewesen um zu bemerken das Brian sie liebte? Nein, Brians Worte ließen eigentlich keine Zweifel zu. Er hatte den Brief geschrieben und darin nicht Jordans Gefühle beschrieben, sondern seine eigenen. In Jordans Namen. Warum hatte er das getan? Hatte Jordan ihn darum gebeten? Dies war zumindest die einzig logische Erklärung die ihr einfiel. Von der Wut die sie erfüllt hatte nachdem Rickie ihr die Wahrheit erzählt hatte war nicht mehr viel übrig. Wie sollte sie Brian auch böse sein. Ihm war nur vorzuwerfen das er nicht den Mut gehabt hatte ihr den Brief in seinem Namen zu schreiben und das er sich lieber hinter Jordan versteckt hatte. Aber hätte sie nicht wahrscheinlich genauso reagiert? Hatte sie ihr logisches Denken nicht auch eingestellt, nachdem sie sich in Jordan verliebt hatte. Wäre ihr nicht auch jedes Mittel recht gewesen um ihm näher zu kommen? Diese und tausend andere Fragen gingen ihr durch den Kopf und langsam fing sie an zu bereuen das sie mit Jordan weggefahren war. "Was Brian jetzt wohl macht?"

Diese Frage war leicht zu beantworten : Brian tat überhaupt nichts.
Er lag auf seinem Bett und starrte an die Decke seines Zimmers. Es gab nicht viel zu sehen dort oben aber seine Gedanken waren sowieso ganz woanders. Er träumte mal wieder von seiner Angela, wie er es schon so oft getan hatte, aber heute war alles anders als sonst. Die Wahrheit über den Brief war ans Licht gekommen und er war irgendwie sogar froh darüber. Es war ihm leicht gefallen den Brief zu schreiben, aber Angela anzulügen hatte ihn doch ziemlich belastet und er hatte sich dafür selbst gehaßt. Er war sich so feige und hinterhältig vorgekommen, sich hinter Jordan zu verstecken um Angela endlich seine Gefühle zu gestehen. Rickie hatte vollkommen recht, er hatte Jordan wirklich ausgenutzt. Und nicht Jordan ihn. Das war ihm heute klar geworden. Und trotz alledem strahlte für ihn wieder die Sonne. Das lag daran das Angela jetzt endlich wußte das er sie liebte, und der Augenblick nach seinem verbalen Ausrutscher als sie sich gegenüberstanden und Angela ihn mit Tränen in den Augen ungläubig angeschaut hatte, in dem Augenblick war ihm erst bewußt geworden wie sehr er sie liebte und das er sie brauchte wie die Luft zum Atmen. Noch nie zuvor war sie so schön gewesen wie heute abend und ihm wäre fast der Atem stehengeblieben als er sie im schwachen Schein der Straßenlaterne ansah. Er sah in ihre Augen, er wollte sie umarmen, ihr seine Liebe gestehen, sie spüren und sie ganz fest an sich drücken, doch woher hätte er den Mut aufbringen sollen. In seinen Träumen hatte er den Mut. Doch in der Realität war er schwach, und auch dafür haßte er sich.

Auch wenn er geistig abwesend war weilten seine Ohren noch immer in der Realität und als die Geräusche eines Wagens der ganz in der Nähe zu halten schien in sein Gehör drang sprang er von seinem Bett auf und schlich sich vorsichtig zum Fenster um nachzuschauen ob es vielleicht Angela war, die ihn aus seinen Träumen gerissen hatte.
Und, sie war es tatsächlich. Er konnte sie zwar in dem Wagen nicht erkennen, aber es war eindeutig Jordans Wagen der dort am Straßenrand parkte. Früher als er erwartet hatte öffnete sich die Beifahrertür und Angela stieg aus. Sie schlug die Wagentür zu und warf noch einen raschen Blick auf Jordan, ehe sie sich umdrehte und auf die Haustür zuging. An der Tür angekommen drehte sie sich um und blickte dem Wagen hinterher der langsam die Straße entlang fuhr und sich immer weiter entfernte, bis er schließlich ganz in der Dunkelheit verschwunden war. Brian beobachtete sie mit verliebten Augen ohne zu ahnen das Angela ihn schon längst bemerkt hatte. Zum erstem Mal machte es ihr nichts aus das er sie beobachtete.

"Angela, aufstehen, das Frühstück ist fertig", hörte sie die Stimme ihrer Mutter und sie wurde abrupt aus der Traumwelt gerissen. Wie so oft blieb sie noch ein bißchen liegen und versuchte angestrengt, sich an ihren Traum zu erinnern. Es war zwecklos. Er war bereits in den Tiefen ihres Unterbewußtseins verschwunden und alle Versuche die Erinnerung wieder hervorzuholen waren zum Scheitern verurteilt. "Wie kommt es eigentlich das ich meine Träume immer dann vergesse, wenn ich mitten drinnen geweckt werde", dachte sie während sie kraftlos aus ihrem Bett glitt. Die Sonne warf schon ihre Strahlen durchs Fenster und ein wunderschöner Morgen begrüßte sie als sie die Gardinen zurückzog um ein wenig Licht ins Zimmer zu lassen. Es war dann doch mehr Licht als erwartet und sie kniff beide Augen zusammen um nicht allzusehr geblendet zu werden da ihre Augen sich noch nicht wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten. Sie fragte sich ob Jordan oder Brian in ihrem Traum vorgekommen waren während sie eine Jeans und ein Hemd aus ihrem Schrank fischte.

"Du bist spät dran, Angela", ermahnte sie ihre Mutter mit vorwurfsvollem Blick und nahm einen kräftigen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. "Ich weiß", erwiderte Angela und setzte sich an den Tisch um hastig ihr Frühstück hinunterzuschlingen. "Wenn du das Essen weiter so runterschlingst schaffst du es ja sogar noch zu Fuß pünktlich zur Schule zu kommen", scherzte Graham ohne von seiner Zeitung aufzusehen. Danielle war bereits fertig mit dem Frühstück und rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. "Fahren wir gleich los, Dad, sonst kommen wir noch zu spät", drängelte sie. "Deine Sorgen möchte ich haben", flüsterte Angela leise vor sich hin und griff nach ihrem Glas Milch. Graham faltete langsam die Zeitung zusammen und Danielle sprang auf um ihre Sachen zu holen. "Ich warte im Wagen", rief sie und lief aus der Küche, ohne sich von ihrer Mutter oder Angela zu verabschieden. "Viel Spaß, Schatz", rief Patty ihr hinterher, aber ohne Erfolg. Graham ging auf sie zu, nahm sie in den Arm und gab ihr einen Kuß : "Viel Spaß bei der Arbeit." "Und dir viel Spaß in der Schule", wünschte er Angela und streichelte ihr übers Haar. "Danke, Dad." "Du mußt auch gleich los", bemerkte Patty und ging aus der Küche um sich selbst für die Arbeit zurecht zu machen.
Hastig leerte Angela ihr Glas und schnappte sich ihre Tasche.
"Tschau, Mom", rief sie Patty zu und machte sich eilig auf den Weg um einer längeren Verabschiedung zu entgehen.

Mit hastigen Schritten ging sie durch den Bus auf ihren Stammplatz im hinteren Teil zu, während sie so unauffällig wie möglich nach Brian Ausschau hielt, aber sie konnte ihn nirgends entdecken.
"Wahrscheinlich fährt er mit dem Rad zur Schule", kam es ihr in den Sinn als sie sich auf ihren Platz gleiten ließ.
Es war komisch aber irgendwie hatte sie gehofft ihn heute morgen im Bus zu treffen, und nun war sie fast ein kleines bißchen enttäuscht.
"Langsam drehst du wirklich durch!"

"Hi Angela", begrüßte sie Rickie, der bei ihrem Spind auf sie gewartet hatte. "Hi Rickie", erwiderte sie und gab ihm einen freundschaftlichen Kuß auf die Wange. "Ich hoffe du bist nicht sauer auf mich, du weißt schon, wegen der Sache mit dem Brief..."
"Nein, ich bin sogar froh darüber das du mir die Wahrheit gesagt hast."
"Hast du schon mit Jordan oder Brian darüber gesprochen?"
"Nur mit Brian."
"Und?"
"Zuerst hat er es abgestritten, aber dann..."
"Ja?"
"Dann hat er sich verplappert, ich, ach ich weiß selbst nicht so recht was er damit bezweckt hat."
"Angela, mach endlich deine Augen auf!"
"Was meinst du?"
"Er ist verliebt in dich!"
"Wer?"
"Na Brian natürlich."
"Daran hab ich auch schon gedacht, aber irgendwie kann ich es nicht so recht glauben."
"Der Brief ist doch wohl der beste Beweis."
"Aber denn hat er doch in..."
"Das hat mit Jordan überhaupt nichts zu tun. Es sind seine Gefühle die er mit dem Brief ausdrückt. Es steht nur ein anderer Name drunter, aber die Worte stammen ganz allein von ihm."
Schweigend sah Angela Rickie an, und sie spürte das er Recht hatte.
Nein, sie wußte das er Recht hatte. Und das nicht erst seit gestern.
Irgendwie hatte sie es schon lange geahnt, aber sie hatte diesen Gedanken immer verdrängt, zumindest bis jetzt.
"Glaubst du wirklich das er mich liebt?"
Rickie nickte.

Hastig rannte sie in die Klasse, der Lehrer war schon da, war aber immer noch mit seiner Tasche beschäftigt und so schaffte sie es sich unbemerkt auf ihren Platz zu setzten. "Das war knapp." Sie drehte sich nach links um, aber Brians Platz war leer. "Wo steckt der nur?"

Ein lautes Klingeln riß sie aus ihren Gedanken und sie sprang förmlich von ihrem Platz auf und hastete aus der Klasse heraus. Der vor wenigen Sekunden noch menschenleere Raum ertrank förmlich in einem Meer von Gesichtern und sie hielt angestrengt nach dem von Brian Ausschau. "Sharon?", rief sie dieser hinterher und lief auf ihre ehemals beste Freundin zu, "Hast du Brian heute schon gesehen?" "Was willst du denn von Brian?", fragte Sharon erstaunt. "Ich muß ihn dringend sprechen. Also, hast du ihn gesehen?"
"Bisher noch nicht."
"Wo steckt der Kerl nur?"

Heute morgen, als der Wecker ihn lautstark aus dem Reich der Träume in die Wirklichkeit zurückholen wollte, hatte er ihn im Halbschlaf einfach nur ausgestellt und war dann erschöpft wieder aufs Laken gesunken. Eine lange Nacht lag hinter ihm, und nachdem er sich Stundenlang herumgewälzt hatte war er in den frühen Morgenstunden endlich doch noch eingeschlafen. Die Ereignisse des letzten Tages hatten ihm einfach keine Ruhe gelassen und in seinen Gedanken war er die Szene immer und immer wieder durchgegangen. Jetzt, wo es zu spät war, jetzt wusste er was er Angela hätte sagen wollen.
Hinterher ist man immer klüger, und diese Chance war endgültig vertan. Wieso schaltete sich sein Verstand jedes Mal ab wenn er in Angelas Nähe war? "Ich liebe dich", drei kleine Wörter, eigentlich ganz leicht auszusprechen, aber er war nun mal ein Feigling.
Nachdem er sich also die halbe Nacht selbst verflucht hatte (diese Maßnahme erwies sich zuerst auch als äußerst hilfreich, doch irgendwann gegen halb drei waren ihm die Schimpfwörter ausgegangen), fühlte er sich am morgen einfach nicht danach sein warmes Bett zu verlassen um sich in die Schule zu schleppen. Und so blieb er einfach liegen. Und diesmal stand das Glück sogar auf seiner Seite, seine Eltern waren schon aus dem Haus, und so fiel er wieder in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst um halb eins erwachte.
Mühsam öffnete er seine verschlafenen Augen, aber nur für ein paar Sekunden, er musste sich erst an die helle Mittagssonne gewöhnen und es dauerte noch einige Zeit bis er blinzelnd die Zeiger seines Weckers erkennen konnte. "Scheiße!" So überzeugt er vom Schwänzen heute morgen auch gewesen war, viel war davon auf jeden Fall nicht mehr übrig. Nach einem kurzen Anfall von Panik, der damit endete das er beim Versuch möglichst schnell in seine Jeans hineinzukommen das Gleichgewicht verlor und beim darauffolgendem Sturz seinen Stuhl nur knapp verfehlte, ließ er sich niedergeschlagen auf sein Bett fallen.
Es war sowieso zu spät. "Mein erstes Schwänzen", sagte er laut, und bei diesen Worten spürte er fast so was wie Stolz. Äußerst erstaunt musste er sich eingestehen das es sich irgendwie gut anfühlte etwas verbotenes zu tun, einmal nicht der brave Streber zu sein, sondern so etwas verwegenes zu tun wie Schuleschwänzen! Nach einer kalten Dusche (die er in dem Augenblick bereute als der erste Strahl kaltes Wasser sich über seinen Körper ergoss und er für wenige Sekunden das Gefühl hatte hier unter der Dusche Opfer eines Herzschlages zu werden) zog er sich rasch an und lief in die Küche hinunter, wo er sich erst mal ein Glas kalte Milch genehmigte. Mit dem Glas in der Hand stand er am Küchenfenster und sah in den strahlend blauen Himmel hinauf. Kein Wölkchen war zu sehen und als er ins freie trat stellte er fest das es für diese Jahreszeit schon ziemlich warm war. Es schien ein absolut traumhafter Tag zu werden.
"Und was mach ich nun?"

Angela lag auf ihrem Bett und starrte in Gedanken versunken an die Decke ihres Zimmers. Sie fragte sich wo Brian steckte. Sie hatte den ganzen Tag darauf gewartet das er doch noch in der Schule auftauchen würde, aber er war nicht gekommen. Und das passte nun wirklich nicht zu ihm. Jordan oder Rayanne, okay, bei den beiden wäre es ganz normal gewesen, aber Brian? Ausgerechnet Brian der Musterschüler, da konnte doch etwas nicht stimmen. Sie erhob sich von ihrem Bett und ging zum Fenster, doch Brian war nicht zu sehen. Niemand fuhr mit dem Fahrrad die Straße auf und ab, und es saß auch niemand in dem großen Baum und las.
"Vielleicht sollte ich rüber gehen und nachschauen ob er zu Hause ist?"
Langsam näherte sie sich dem Haus der Krakows, nachdem sie es zuvor mehrere Minuten lang aufmerksam beobachtet hatte. Doch es schien niemand zuhause zu sein. Sie lauschte angestrengt, doch es war nichts zu hören. Keine Musik, keine Stimmen, es war absolut still. Sie klingelte. Nichts. Keine Schritte die hastig die Treppe heruntergerannt kamen, keine "Bin gleich da!"-Rufe, kein "Könnte mal jemand die Tür aufmachen, ich kann gerade nicht." Sie klingelte ein zweites Mal, und wieder geschah nichts. "Wo steckt der nur?" So langsam fing sie an sich Sorgen zu machen.

Graue Wolken bedeckten den Himmel und die Temperatur schien von Minute zu Minute immer tiefer zu fallen. Seit fünf Stunden fuhr er nun schon planlos mit seinem Fahrrad durch die Straßen Pittsburghs.
Noch nie hatte er einen Tag erlebt an dem das Wetter so extrem umgeschlagen war, und unter seiner dünnen Jacke fing er langsam an zu frieren. Während seiner ausgiebigen Radtour hatte er viel Zeit zum nachdenken gehabt, sehr sehr viel Zeit sogar, und doch hatte sich an der Ausgangslage nichts geändert. Er spürte es das ihm langsam aber sicher die Hoffnung ausging. "Vergiss sie einfach, du Idiot!", flüsterte er sich zum wiederholten Male selbst zu. Er wünschte er wäre dazu in der Lage, aber immer wieder sah er ihr zartes Gesicht vor sich und in diesen Augenblicken spürte er das es wohl unmöglich war dieses Geschöpf nicht zu lieben. Schließlich hatte er sein halbes Leben nichts anderes getan als an sie zu denken. Und er wusste er würde ihr auch noch die andere Hälfte geben, wenn nicht irgendjemand ihn retten würde.
Seine Beine schmerzten und er hatte das starke Bedürfnis eine kleine Pause einzulegen. Er blickte sich um auf der Suche nach einem interessanten Geschäft oder dergleichen, und sein Blick fiel auf einen kleinen Buchladen, den er zuvor noch nie gesehen hatte. Der Laden war nicht besonders groß, aber ein bisschen Ablenkung würde ihm bestimmt nicht schaden. Und was besseres hatte er ja auch nicht vor, und so kettete er sein Rad draußen vorm Laden an und schlenderte auf das Schaufenster zu. Auf den ersten Blick gab es nichts besonderes zu entdecken, die momentanen Bestseller halt. Ansonsten schien es viele spanischsprachige Bücher zu geben, aber die Namen der meisten Autoren sagten ihm nicht viel. "Hoffentlich haben die auch bekanntere Sachen", dachte er sich beim Betreten des Ladens. Es war nicht viel los um diese Uhrzeit, und außer dem alten Mann hinter der Kasse waren nur noch drei andere Kunden anwesend. Er glitt langsam an den hohen Regalen vorbei, auf der suche nach englischsprachiger Literatur. Zu seiner Erleichterung stellte er fest das doch bestimmt die Hälfte der Bücher in Englisch war und neugierig ließ er seinen Blick über die Buchrücken schweifen. Auf gut Glück griff er ins Regal und zog das erste Buch heraus das ihm in die Hände fiel. Neugierig schlug er es in der Mitte auf. Gedichte! Na ja, das war bisher nicht unbedingt seine Art von Literatur gewesen und er überflog die Seite nur kurz und wollte das Buch gerade wieder ins Regal stellen als er bemerkte das der alte Mann direkt hinter ihm stand und ihn mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht beobachtete. "Mögen sie keine Gedichte", fragte er freundlich.
"Ich? Oh, keine Ahnung, ich weiß nicht", stammelte er überrascht und drehte sich zu dem alten Mann um, das Buch immer noch in der Hand.
"Da haben sie aber ein richtiges Schmuckstück erwischt. Neruda ist mein Lieblingsdichter", erklärte der Alte, und deutete auf das Buch.
Rasch warf Brian einen Blick auf das Buch, auf den Namen des Autors hatte er überhaupt nicht geachtet.
"Liebesgedichte" von Pablo Neruda. "War ja klar das ich ausgerechnet Liebesgedichte erwische", dachte er : "Ich kenne diesen Autor bisher überhaupt nicht, wenn ich ehrlich sein soll." "Oh, wirklich nicht, das ist aber ungeheuer schade...für sie." "Ich glaube Liebesgedichte sind nichts für mich." "Ja, ja, genau das habe ich auch gedacht als ich so jung war wie sie", erwiderte der alte Mann und ließ Brian verdutzt stehen. Er starrte dem Alten hinterher, und dann sah er aufs Buch. Mehrere Sekunden stand er unschlüssig dar, denn Blick starr auf des dünne Buch gerichtet das er fest in seinen Händen hielt. Er richtete den Blick wieder auf die Kasse, doch der alte Mann unterhielt sich angeregt mit einem der anderen Kunden.
Brian versuchte zu verstehen über was sie sprachen, aber als er genauer hinhörte merkte er das die beiden spanisch sprachen. "Warum eigentlich nicht." Langsam ging er zur Kasse und reichte dem alten Mann das Buch. "Haben sie es sich doch anders überlegt, junger Mann? Sie werden den Kauf nicht bereuen. Oder was sagst du dazu, Tamayito."
"Don Pedro hat absolut recht junger Mann, eine ausgezeichnete Wahl", antwortete der angesprochene und lächelte Brian ebenfalls freundlich an. "Vielen dank noch mal für den Tip", erwiderte Brian und nahm sein Wechselgeld entgegen, "Auf wiedersehen, Sir." Er ging rasch auf den Ausgang zu, und hastig griff er nach der Türklinke, doch er kam einen Augenblick zu spät und so stieß er fast mit der Person zusammen die gerade den Laden betreten wollte. "Entschuld...", der Rest blieb ihm förmlich im Halse stecken. "Ist ja nichts passiert", erwiderte die Person, bei der es sich um ein junges Mädchen handelte, etwa in seinem Alter. Sie glitt an ihm vorbei und ging zielstrebig auf den die beiden Männer an der Kasse zu. "Wie geht´s, Don Pedro?", war das letzte was Brian hörte bevor sich die Tür hinter ihm schloss und er die gemütliche Stille des Ladens gegen den Lärm der Straße eintauschte. Es war noch kälter geworden, aber noch schlimmer war der Regen der gerade einsetzte. Unentschlossen blieb er unter dem Vordach stehen und betrachtete unsicher den Himmel. Der Regen wurde immer stärker, und wenn er sich jetzt auf den Weg machen würde wäre er nass bis auf die Knochen wenn er zuhause ankommen würde. "Ein paar Minuten kann ich ja hier warten", sagte er sich und spähte neugierig durchs Schaufenster.
Das Mädchen stand vor dem selben Regal, vor dem er vor wenigen Minuten gestanden hatte, aber es schien als wüsste sie mit den Autoren mehr anzufangen. Er beobachtete sie, während sie ein Buch nach dem anderen aus dem Regal nahm und betrachtete. So ging es eine ganze Weile, doch plötzlich drehte sie ihren Kopf zum Fenster und sah Brian direkt ins Gesicht. Er erstarrte. Sie lächelte ihm freundlich zu und wandte sich dann wieder den Büchern zu. Brian, der keine Lust hatte sich ein zweites Mal beim anstarrten erwischen zu lassen drehte sich hastig zur Straße um. Der Regen wurde nicht weniger, nein, er schien sogar noch stärker einzusetzen. Er stieß einen lauten Seufzer aus und setzte sich auf den Gehweg, der hier unter dem recht großen Vordach noch absolut trocken war. Und da er nicht wusste was er nun tun sollte holte er das Buch heraus und begann zu lesen :

Wie mag es dir wehgetan haben, dich an mich zu gewöhnen, an meine einsame, wilde Seele, an meinen Namen, den alle meiden.
So oft haben wir, uns die Augen küssend, gesehen, wie der Morgenstern erglühte Und über unseren Köpfen die Dämmerung als kreisende Fächer sich entfalteten.
Meine Worte rannen herab auf dich, ein streichelnder Regen.
Seit langem liebte ich deinen Leib aus sonnenbeglänztem Perlmutt.
Ja, ich halte dich für die Herrin des Weltalls.
Aus den Bergen werde ich dir fröhliche Blumen bringen, Copihue-Winden, dunkle Haselnüsse und Binsenkörbe voller Küsse.
Ich will mit dir machen, was der Frühling mit den Kirschbäumen macht.

Zuerst war er nicht recht bei der Sache, aber so nach und nach vertiefte er sich immer mehr und so erschrak er ziemlich als sich plötzlich jemand mit einem sanften "Hi" neben ihn setzte. Er sah von seinem Buch auf und sein Blick fiel auf die langen blonden Haare, die er vor wenigen Minuten noch durchs Fenster hindurch beobachtet hatte.
"Hi", erwiderte er ihren Gruß, mit einem deutlichen Anflug von Nervosität in der Stimme. Schweigend saßen die beiden nebeneinander auf dem Gehweg, und Brian beobachtete die Fremde aus den Augenwinkeln heraus. Sie hatte ihren Kopf nach hinten gegen die Scheibe gelehnt und saß einfach nur so dar, beide Augen fest geschlossen. "Hörst du den Regen?", fragte sie ihn plötzlich, die Augen immer noch geschlossen. Und ohne seine Antwort abzuwarten fuhr sie fort : "Ich liebe es einfach nur so dazusitzen und dem Regen zuzuhören." Brian starrte sie irritiert an, als sie plötzlich den Kopf in seine Richtung drehte und ihm direkt in die Augen sah : "Was liest du da?"
Er war so nervös das er fürchtete kein vernünftiges Wort herauszubekommen und so hielt er ihr einfach das Buch hin. Sie warf nur einen kurzen Blick drauf und blickte dann wieder hinaus in den Regen.
"Das hat dir bestimmt der alte Pedro aufgeschwatzt, hab ich recht?"
"Ja, eigentlich schon. Normalerweise les ich so was nicht."
"Und wie gefällt es dir?"
"Also, ich weiß nicht recht. Zuerst war es ein komisches Gefühl so was zu lesen , aber..."
"Aber dann hat es dir doch gefallen, nicht wahr?"
"Ich glaube schon."
"Du glaubst es? Wieso weißt du es denn nicht?"
"Okay Okay, es hat mir gefallen."
"Siehst du, war doch gar nicht schwer", erwiderte sie frech, doch gleichzeitig sah sie ihm mit einem so zauberhaften Lächeln an das Brian glatt vergaß sich über ihre provozierende Art aufzuregen. "Wie heißt du eigentlich?", fragte sie, den Blick wieder hinaus in den dunklen Abend gerichtet. Es musste so gegen 19 Uhr sein und die Sonne war schon längst verschwunden und nur die hellen, bunten Lichter der einsamen Stadt strahlten noch ein Fünkchen Wärme aus.
Bunte Werbung in grellem Neonlicht vermischte sich mit den hektischen Lichtern der vorbeirauschenden Wagen, während der Regen auf die Erde herunterprasselte.
"Ich heiße Brian", stellte er sich vor. "Schön dich kennenzulernen Brian, ich bin Amy."
"Ja, ich äh, also, ich freue..."
"Du freust dich auch mich kennenzulernen?"
"Äh, ja."
"Wow, ein wahrer Meister der Konversation!"
"Was? Also..."
"Nicht aufregen, Kleiner. Ich hab doch nur Spaß gemacht."
"Ha Ha, sehr komisch. Humor ist wohl nicht gerade deine Stärke!"
"Immerhin hat es gereicht um dir einen vollständigen Satz zu entlocken."
"Oh man, du spinnst!", lachte Brian, der es einfach nicht fertig brachte sich über ihre Art aufzuregen, dazu war er einfach viel zu fasziniert von ihr. "Ich hab dich noch nie hier gesehen. Wohnst du hier in der Nähe?", lautete ihre nächste Frage. "Nein, ich wohn drüben in Three Rivers."
"Three Rivers? Schöne Gegend. Und was treibt dich ausgerechnet hierher? Du bist doch nicht nur hier um ein Buch zu kaufen? Hast du hier jemanden besucht?"
"Du bist ja überhaupt nicht neugierig!"
"Ich versuch nur etwas Schwung in die Unterhaltung zu bringen. Aber wenn du nicht willst..."
"Schon gut, ich hab heute die Schule geschwänzt, und da es heute morgen so schön war hab ich mich auf mein Rad gesetzt und bin einfach losgefahren."
"Und was hast du sonst noch so gemacht?"
"Na ja, eigentlich war´s das schon."
"Du bist mir ja einer. Schwänzt die Schule, nur um dann den ganzen Tag auf dem Rad zu verplempern! Viel Spaß auf dem Weg nach Hause, das Wetter ist ja wirklich optimal für solch eine Unternehmung."
"Der Regen hört bestimmt bald auf."
"Das hättest du wohl gern!" "Irgendwie musst du ja auch nach Hause kommen."
"Ich warte hier nur auf meinen Bus."
"Schön für dich."
"Aber echt. Bei dem Regen ist man ja nach spätestens einer Minute nass bis auf die Knochen." "Es hört bestimmt gleich auf."
"Träumer! Hast du den Wetterbericht nicht gehört? Es soll die ganze Nacht Regen geben!"
"Wenn ich ihn gehört hätte wäre ich wohl nicht mit dem Rad unterwegs, oder?"
"Wohl nicht", kicherte sie leise, die Augen abermals geschlossen.
Brian fühlte des etwas seltsames in ihm vorging. Normalerweise war er Leuten die er nicht kannte gegenüber misstrauisch und zurückhaltend, doch mit Amy war das irgendwie anders. Sie war irgendwie anders. Er konnte nicht erklären woran es lag, aber irgendwie fühlte es sich gut an in ihrer Nähe zu sein. Brian betrachtete vorsichtig ihr zartes Gesicht, und für einen kurzen Augenblick hatte er das Gefühl das sie eingeschlafen war. Ihr langes blondes Haar war immer noch etwas feucht (anscheinend hatte der Regen schon eingesetzt bevor sie in den Laden kam) und Brian erwischte sich dabei wie er davon träumte ihr die nassen Strähnchen aus dem Gesicht zu streichen. Es war kalt, es war nass, und doch fühlte er sich absolut wohl.
Stundenlang hätte er hier, auf dem kalten Bürgersteig, sitzen können, die Blicke nur auf dieses sonderbare Wesen gerichtet, das direkt neben ihm saß und fasziniert der sanften Musik des Regens lauschte. "Hast du kein Buch gefunden?", unterbrach Brian ihr Schweigen, über sich selbst erstaunt das er den Mut dazu aufgebracht hatte.
"Nein, aber ich hab auch nicht richtig gesucht. Dylan hat ein Buch bestellt und er hat mich gefragt ob ich es abholen könnte. Es war aber noch nicht da."
"Ist Dylan dein Freund?" Brian hatte die Frage so schnell gestellt das er gar nicht dazu kam vorher drüber nachzudenken und nachdem die Worte seinen Mund verlassen hatten fragte er sich ob das wirklich er gewesen war der das gefragt hatte oder ob ein Dritter sich in die Unterhaltung einmischte. Nein, das war wirklich er gewesen. Er konnte es nicht fassen.
Amy lachte. "Jetzt bist du aber ganz schön neugierig."
Sie sah in provozierend an. "Was nun?", dachte Brian, "Schwanz einziehen oder auf Kurs bleiben."
"Damit der Schwung nicht verloren geht", erwiderte nach einem kurzen Zögern.
"1:0 für dich. Dylan ist nicht mein Freund, sondern mein Zwillingsbruder."
"Ach so."
"Ich hab keinen Freund."
Brians Herz schlug vor Freude schneller.
"Und du?"
"Ich hab auch keinen!"
"Sehr witzig", lachte sie und boxte ihm sanft auf die Schulter.
"Schon gut, ich hab keine Freundin, falls du das wissen wolltest."
Die beiden sahen sich lachend an und erst jetzt fielen ihm ihre Augen auf, sie hatte wunderschöne sanfte grüne Augen. "Und wie sieht es mit Geschwistern aus?"
"Hab ich auch nicht."
"Ist doch bestimmt langweilig so ganz ohne. Hättest du gern welche? Wenn ja, ich könnte ein paar abgeben."
"Hast du denn so viele?", fragte Brian mit großen Augen.
"4 Brüder. Dylan, Sean, Liam und Billy."
"Meinen Eltern hat wohl ein Kind gereicht."
Sie drehte ihren Kopf nach links und blickte die Straße hinab. "Ich glaub da kommt mein Bus!"
"Was? Ich..."
"Ich muss los. Tschau Brian", flüsterte sie ihm zu und, bevor sie aufstand, beugte sie sich zu ihm rüber und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Brian war so erschrocken das er kein Wort über die Lippen brachte.
Als er seine Fassung wiedergefunden hatte lief sie schon längst auf die Haltestelle zu. "Amy, warte! Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?" Brian betete zu Gott das sie seine Frage gehört hatte, und er hatte Glück.
Sie blieb kurz stehen, drehte sich zu ihm um und rief :"O´Hearn."
"Auf wiedersehen, Amy O´Hearn!", rief er ihr zu, während sie in den Bus stieg. Noch einmal winkte sie ihm von ihrem Fensterplatz im vorderen Teil des Busses zu, und dann war das Mädchen mit den wundervollen grünen Augen aus seinem Blickfeld verschwunden. Wie betäubt stand er im Regen und starrte traurig dem Bus hinterher, der sich immer weiter von ihm entfernte und schließlich an einer großen Kreuzung rechts abbog. "Auf wiedersehen, Amy", flüsterte er noch einmal bevor er zu seinem Rad ging und sich auf den Heimweg machte. Der Regen störte ihn nicht mehr. Er fragte sich, was der Frühling mit den Kirschbäumen macht.

Angela stand am Fenster und blickte in den Regen hinaus. Brian war immer noch nicht aufgetaucht, und sie machte sich wirklich Sorgen.
"Brian, wo bist du nur?", flüsterte sie leise. Sie hatte kein Licht in ihrem Zimmer brennen und so waren ihre Augen schon an die Dunkelheit gewöhnt, und so entdeckte sie die Gestalt die langsam die Straße entlanggefahren kam ziemlich früh. Durch den Regen versuchte sie zu erkennen ob es sich bei der durchnässten Gestalt um Brian handelte, aber erst als er direkt an ihrem Fenster vorbeifuhr erkannte sie ihn. Sie rechnete damit das er zu ihrem Fenster hochschauen würde, so wie er es fast immer tat wenn er an ihrem Haus vorbeifuhr, aber heute fuhr er vorbei ohne den Kopf in ihre Richtung zu drehen. Sie blieb noch ein paar Minuten am Fenster stehen, sie wäre am liebsten nach draußen gerannt und hätte ihn gefragt wo er den ganzen Tag gewesen war, aber da sie eigentlich schon längst im Bett liegen müsste war sie führ solch eine Aktion nicht richtig angezogen.
Auch wenn es ihr schwerfiel ihre Neugier zu zügeln kroch sie unter ihre weiche Bettdecke und es dauerte nur wenige Minuten bis sie erschöpft eingeschlafen war.

Nur ein paar Meter weiter lag Brian auf seinem Bett, halbtot von seiner stundenlangen Fahrradtour, aber der Schlaf, den er nach den Strapazen an diesem Tag dringend benötigt hätte, wollte ihn einfach nicht übermannen. Er griff nach dem Walkman auf seinem Nachttisch, stülpte sich die Kopfhörer über und betätigte mit dem Daumen der rechten Hand die Play-Taste, woraufhin laute Musik explosionsartig in seine Ohren drang. Hastig verschob er den Schieber für die Lautstärkeregelung und legte sich, als die Lautstärke auf ein um diese Uhrzeit erträgliches Maß reduziert war, entspannt hin.
Er schloss die Augen und lauschte verträumt der Musik, in der Hoffnung dadurch den Schlaf schneller herbeizaubern zu können :

I remember when you seemed real shiny with the sweat of your voice Shaky hands super loud and teenage mouth We were all charmed and taken with your talk Now I shudder when I hear the rhythm of your walk Now I've got no place to go, I've got no place to go I've got no one, nowhere, no one I have given up on the sparkle that I saw in you

I have sinned the sin of wanting more The belly fire pulls the spirit from the corporate whore I'm embarrassed by the plaid you wear If I were you I'd hide behind that stupid bleach blonde hair Now I've got no place to go, I've got no place to go I've got no one, nowhere, no one I have given up on the sparkle that I saw in you Yeah that simple minded sparkle that I thought I saw

Yes I have wondered why you changed I liked it when you were super loud I wonder if you're giving in, tell me why you're giving in

Ein leichtes Schnarchen erfüllte das Zimmer, begleitet von der leisen Musik die aus den Kopfhörern drang.

******

"Wo hast du denn gestern gesteckt?", fragte Angela und setzte sich auf den freien Platz neben ihn. "Oh, hi", stammelte Brian, "Mir war gestern irgendwie nicht nach Schule." "Du hast geschwänzt?", entfuhr es Angela, die einfach nicht glauben konnte das Brian dazu überhaupt in der Lage war.
"Traust du mir das etwa nicht zu?", erwiderte Brian gereizt, vielleicht hatte sich ihre Stimme etwas zu ungläubig angehört.
"Ich, äh, wenn ich ehrlich sein soll eigentlich nicht."
Damit war das Gespräch fürs erste beendet, da Brian es vorzog aus dem Fenster zu starren. "Das er immer so empfindlich sein muss", ärgerte sich Angela. Sie wollte zwar immer noch wissen wo er gestern den ganzen Tag gesteckt hatte, aber um diese Information aus ihm herauszukitzeln war jetzt ganz offensichtlich nicht der richtige Zeitpunkt und so saßen die beiden schweigend nebeneinander, die gesamte Fahrt über. "Über was, oder besser gesagt über wenn er jetzt wohl gerade nachdenkt", fragte sich Angela, wobei sie sich gut vorstellen konnte vorüber er sich in den letzten Tagen am meisten den Kopf zerbrochen hatte. Wenn sie in der Lage gewesen wäre seine Gedanken zu lesen wäre sie wohl ziemlich überrascht gewesen, aber so ahnte sie nicht das Brian seit er Amy getroffen hatte so gut wie gar nicht mehr an sie gedacht hatte. Erst als sich die Türen quietschend öffneten wurde Angela aus ihren Gedanken gerissen. Brian hatte sich schon von seinem Sitz erhoben und wartete darauf das sie sich ebenfalls erhob und er endlich den Bus verlassen konnte. Die angespannte Situation während der Fahrt hatte ihn nervös gemacht und er brauchte dringend etwas abstand. Er war verwirrt, in den letzten beiden Tagen war einfach soviel passiert und seine Gefühle spielten einfach verrückt. Er brauchte einfach etwas Zeit zum nachdenken. "Bis später", verabschiedete er sich von Angela und eilte dann hastig davon, so das Angela gar nicht dazu kam ihn aufzuhalten und ihm mit offenem Mund erstaunt hinterhersah. Ihr leises "Brian" brachte sie erst hervor als er schon längst in der Menge verschwunden war.

Langsam ging sie zu ihrem Spind, immer noch verwundert über sein merkwürdiges Verhalten. Rickie wartete wieder einmal auf sie und nachdem sie sich Begrüßt hatten fragte er :"Und, hast du schon mit Brian gesprochen?" Sie schüttelte den Kopf :"Versucht hab ich es ja, aber irgendwie benimmt er sich so komisch seitdem wir über den Brief gesprochen haben. Er hat gestern die Schule geschwänzt, ich meine, da kann doch was nicht stimmen." "Er hat geschwänzt?", entfuhr es Rickie, der genauso ungläubig auf die Information reagierte wie sie vorhin im Bus.
"Ich konnte es auch kaum glauben, aber er hat es mir selbst erzählt."
"Das hätte ich ihm nie zugetraut, wirklich nicht." "Und als ich gerade eben mit ihm sprechen wollte hat er sich schnell aus dem Staub gemacht."
"Und nun?"
"Ach, ich weiß auch nicht."
"Empfindest du etwas für ihn?"
"Ich weiß es nicht. Bis vorgestern Abend war er für mich nur mein nerviger Nachbar, mit dem ich früher immer gespielt hatte, aber jetzt? Ich weiß nicht was ich für ihn empfinde." Laut seufzend lehnte sie sich gegen ihren Spind. "Es ist alles so verwirrend."
"Da ist er ja!", unterbrach sie Rickie plötzlich.
"Wer?"
"Brian, er ist gerade auf die Toilette gegangen."
Angela starrte nachdenklich auf die Tür der Herrentoilette, doch schon nach wenigen Sekunden drehte sie sich wieder zu Rickie um :"Rickie, kannst du mir einen gefallen tun?"
"Nein, halt mich bitte daraus!", protestierte er, er konnte sich nur allzu gut denken an was für einen Gefallen Angela dabei dachte.
"Bitte!", flehte sie ihn an, und ihr trauriger Blick erzielte die erhoffte Wirkung. Diesmal war es Rickie der laut seufzte und sich dann Richtung Herrentoilette in Bewegung setzte.

Nur zögernd betrat er diesen Ort, um den er sonst einen großen Bogen machte. Er war erstaunt das in fast völlig weiße Wände anstrahlten, da hatte der Hausmeister aber ganze Arbeit geleistet. War bestimmt nicht einfach diese ganzen Schmierereien von den Kacheln zu entfernen, aber ein paar Unverbesserliche hatten schon wieder begonnen den alten Zustand wiederherzustellen. Rickie konnte niemanden sehen, aber es war nur eine Kabine besetzt. Langsam ging er auf die verschlossene Tür zu, als ein lautes Klingel in zusammenfahren ließ. "Hatte heute sowieso keine Lust auf Chemie", schoss es ihm durch den Kopf. Er blieb stehen und wartete einen Augenblick darauf das Brian die Tür aufriss um es noch rechtzeitig ins Klassenzimmer zu schaffen, aber nichts geschah. "Und was nun?" Er überlegte ob er die Sache abbrechen und doch noch ins Chemielabor gehen sollte, oder ob er lieber hier wartete bis Brian herauskam. Das Rauschen der Spülung nahm ihm die Entscheidung ab. Die Tür öffnete sich und ein vorsichhinträumender Brian kam auf ihn zu, ohne ihn zu bemerken, und Rickie war gezwungen ihn anzusprechen um einen Zusammenstoß zu verhindern.
"Hi Brian."
Erschrocken sah dieser ihn an und er brauchte ein paar Sekunden um sich zu fangen. "Hi Rickie", brachte er schließlich heraus, "Bis später, ich komm zu spät zum Unterricht."
"Hey, warte doch mal kurz", versuchte ihn Rickie aufzuhalten, und Brian zögerte einen Augenblick.
"Angela hat das Gefühl das du ihr aus dem Weg gehst."
Brian blieb stehen.
"Wieso sollte ich so was tun?"
Er drehte sich zu Rickie um und sah in nervös an.
"Keine Ahnung, aber sie sagt du benimmst dich so komisch seit..."
"Seit wann?"
"Seitdem ihr beide über den Brief gesprochen habt."
"Das bildet sie sich nur ein."
"Brian, du hast gestern die Schule geschwänzt! Du willst mir doch nicht erzählen das das für dich normal ist."
"Das tun doch alle hin und wieder", erwiderte Brian trotzig.
"Angela hat sich Sorgen gemacht."
"Nur weil ich einmal nicht zur Schule gekommen bin?"
"Sie hat viel über euer Gespräch nachgedacht."
"Ist mir doch egal!"
"Das meinst du doch nicht ernst."
"Wieso nicht?", fuhr Brian ihn wütend an, "Glaubst du sie wurde Jordan für jemanden wie mich verlassen. Hältst du mich für so bescheuert? Die letzten drei Jahre hat sie sich einen Scheiß für mich interresiert, und nur weil ich diesen blöden Brief geschrieben hab soll sich daran was geändert haben? Bin ich etwa ein anderer Mensch dadurch geworden? Verdammt, ich liebe sie seitdem ich sie zum ersten Mal gesehen hab, und glaubst du sie hat es überhaupt bemerkt? Nein! Ich war doch immer nur Luft für sie! Ich hätte alles dafür getan um mit ihr zusammenzusein, aber nie, nicht ein einziges Mal gab es einen Grund sich Hoffnungen zu machen. Und daran soll dieser verdammte Brief etwas geändert haben?"
"Sie wusste nicht das du in sie...", stammelte Rickie, der immer noch über Brians heftige Reaktion überrascht war.
"Das ist es ja, wieso hat sie es in all den Jahren nicht bemerkt? Ganz einfach, weil ich ihr egal war!"
Eine Träne lief ihm übers Gesicht und er drehte sich zum Waschbecken um und begann sich die Hände zu waschen, während Rickie einfach nur so dastand und über seine Worte nachdachte. "Ich hab doch gar keine Chance", flüsterte Brian leise während er sein Gesicht im Spiegel beobachtete. Seine Augen waren gerötet und ein salziger Geschmack zeugte von den Tränen die ihm über die Wangen hinab auf die Lippen geflossen waren. Er sah Rickie, der hinter ihm stand und ebenfalls das Spiegelbild betrachtete. Er bückte sich hinab zum Wasserhahn um sich das Gesicht mit dem Wasser das sich in seinen beiden Händen angesammelt hatte zu waschen um so alle Spuren zu beseitigen. Langsam kam Rickie auf ihn zu und legte ihm seine Hand auf die Schulter. "Schon gut Brian, ich versteh das du verwirrt bist", versuchte Rickie ihn zu trösten.
"Ich hab immer davon geträumt das sie eines Tages zu mir kommen würde um mir zu sagen das sie mich auch liebt, aber ich weiß das das niemals passieren wird. Ich hab einfach nicht mehr die Kraft auf etwas zu warten das sowieso nie passieren wird, ich hab es satt leiden zu müssen, ich kann diesen Schmerz einfach nicht mehr ertragen, den Schmerz der jedes Mal in mir aufbricht wenn ich in ihrer Nähe bin, jedes Mal wenn ich ihr sanftes Gesicht ansehen muss.
Verstehst du, ich halte es einfach nicht mehr aus, ich hab nicht genug Kraft um sie immer weiter und weiter zu lieben. Sie ist mein ganzes Leben, sie ist die erste Person an die ich denke wenn ich morgens auswache, und sie ist es an die ich denke wenn ich in der Nacht wachliege. Und wenn ich dann endlich einschlafe, dann erwartet sie mich schon in meinen Träumen. Ich würde ihr alles geben, alles, mein ganzes Leben, aber das ist anscheinend nicht genug. Aber ich bin nicht mehr, als ich bin, mehr hab ich ihr nicht zu bieten. Verstehst du, Rickie?" Er drehte den Wasserhahn zu, sah noch einmal kurz in den Spiegel und ging dann wortlos hinaus.
"Ich verstehe", flüsterte Rickie leise, doch Brian war schon längst verschwunden.

"Hast du mit Brian gesprochen?", fragte Angela neugierig. Rickie nickte. "Und?"
"Ich glaube es ist besser wenn du mit ihm redest."
"Wieso? Was hat er denn gesagt?"
"Er scheint ziemlich fertig zu sein. Ich glaube du solltest wirklich dringend mit ihm reden."
"Ich weiß nicht, es ist alles so verwirrend."
"Du bist verwirrt? Denk mal drüber nach wie Brian sich jetzt fühlen muss."
"Schon klar, aber..."
"Kein aber, versetz dich einfach mal in seine Lage."
"Ich weiß einfach nicht was ich tun soll, meine Gefühle spielen zur Zeit einfach verrückt."
"Angela, tu ihm das nicht an, das hat er nicht verdient."
"Was meinst du?"
"Mach ihm keine Hoffnung, nicht, wenn du nicht davon überzeugt bist das es eine Chance für ihn gibt. Hör auf ihn zu quälen."
Bevor Angela etwas erwidern konnte war Rickie schon in der Menge verschwunden.

Rickies Worte gingen ihr einfach nicht aus dem Kopf, und obwohl sie jetzt eigentlich Englisch auf ihrem Stundenplan stand und es bereits geklingelt hatte stand sie immer noch an ihrem Spind. Sie wusste das sie sich jetzt sowieso nicht auf den Unterricht konzentrieren könnte und so zog sie es vor ihm gleich ganz fernzubleiben, es gab jetzt einfach wichtigeres als Schule. Die Gänge hatten sich in windeseile geleert und nur noch ein paar Nachzügler hetzten durch die Gänge um es noch Rechtzeitig in die Klasse zu schaffen. Sie fühlte sich schlapp und müde, irgendwie ausgelaugt. Sie blickte den nun menschenleeren Gang hinunter, und plötzlich überkam sie das Bedürfnis nach draußen, an die frische Luft zu gehen und dieses stickige Gebäude hinter sich zu lassen. "Etwas frische Luft kann jetzt bestimmt nicht schaden", munterte sie sich selbst auf und machte sich auf den Weg nach draußen. Sie hoffte das der Schulsportplatz zur Zeit nicht benutzt wurde und sie etwas Ruhe auf den Zuschauerrängen finden würde, doch da draußen die Sonne schien und es angenehm warm war machte sie sich nur wenig Hoffnung. Ihr Glück hatte sie nicht ganz verlassen, der Platz war zwar nicht leer, aber wenigstens waren es nur ein paar Leichtathleten die hier ihre Runden drehten. "Wenigstens nicht das Football-Team." Sie ließ sich in der obersten Sitzreihe nieder und sah den Läufern zu, die angestrengt über die Bahn hetzten.
Es war absolut windstill und sie spürte die Sonne in ihrem Nacken, und nachdem sie ein paar Mal tief luftgeholt hatte ging es ihr wirklich etwas besser. Sie griff nach ihrem Rucksack, den sie auf den Platz neben sich gestellt hatte, und wühlte ungeduldig in ihren Unterlagen herum. Sie suchte den Brief, irgendwo zwischen ihren Aufzeichnungen. Endlich spürte sie das weiche Papier zwischen ihren Fingern und sie zog die Hand aus dem Rucksack und betrachtete verträumt Brians Liebesbeweis. Sie faltete den Brief nicht auseinander, das war überhaupt nicht nötig das sie ihn sowieso auswendig kannte, es fühlte sich nur gut an ihn den Händen zu halten während sie diese zauberhaften Worte vorsichhinflüsterte. Sie war sich jetzt absolut sicher das Brian sie liebte, aber das war auch alles was sie wusste, ihre Gefühle lagen immer noch tief in ihrem Inneren verborgen. Natürlich liebte sie Jordan immer noch, doch sie spürte das Brian ihr auch nicht so egal war wie sie immer geglaubt hatte, und genau das verwirrte sie. Seit vielen Jahren sah sie ihn nun schon beinahe jeden Tag, doch nie hatte sie etwas bemerkt. Sie hatte im ihm immer nur das gesehen, was alle in ihm sahen, nämlich einen nervigen Streber. Sie hatte sich einfach nicht die Mühe gemacht ihn mit ihren eigenen Augen zu betrachten sondern das Bild übernommen das ein grossteil der Schule von ihm hatte, und nun musste sie feststellen das hinter der Fassade des Strebers viel mehr steckte als sie jemals vermutet hätte. Mit geschlossenen Augen saß sie nun da und dachte nach, über Jordan, über Brian, über sich selbst. Ein leichtes Hungergefühl stieg in ihr auf und sie wünschte sich das sie sich heute morgen etwas mehr Zeit fürs Frühstück genommen hätte, aber jetzt war es zu spät. "Vielleicht hab ich ja was dabei." Sie glaubte zwar selbst nicht daran, trotzdem Griff sie abermals nach ihrem Rucksack, in der Hoffnung irgendetwas Essbares darin entdecken zu können, vielleicht einen Apfel oder eine andere Frucht, schließlich war Patty ja immer so um ihre Gesundheit besorgt. Sie zog eine kleine braune Papiertüte heraus, in der sich ganz offensichtlich eine Banane befand. "Besser als gar nichts", dachte sie und machte sich ans Werk das Stück Frucht von ihrer Schale zu befreien, Brians Brief hatte sie auf den Rucksack gelegt. Die Banane war schnell vernichtet, die Schale warf sie einfach hinab bis in die 4. Reihe. Die fleißigen Läufer schienen endlich genug zu haben und hatten sich in der Mitte des Feldes versammelt, wo ihre vielen bunten Sporttaschen standen, in denen sich auch ihre Wasserflaschen befanden, die sie nach den Anstrengungen auch dringend zu brauchen schienen und die sie mit großen Schlücken entleerten. Angela warf einen Blick auf ihre Uhr und überrascht stellte sie fest das ihr Englischunterricht in 3 Minuten vorbei sein würde. Sie fühlte sich jetzt eindeutig besser als vorhin und so beschloss sie ins Schulgebäude zurückzukehren um die letzten 2 Stunden des heutigen Tages hinter sich zu bringen. Sie stand auf, griff nach ihrem Rucksack, hängte sich diesen über die linke Schulter und machte sich auf den Weg. Das ein leichter Windstoß Brians Brief von ihrem Rucksack heruntergeweht hatte bemerkte sie überhaupt nicht.

"Wo hast du gesteckt, Angela?", kam Sharon auf sie zu, Delia im Schlepptau. "Hast du Brian gestern noch gefunden?"
"Nein, er war gestern gar nicht in der Schule."
"Wieso denn nicht? War er etwa krank?"
"Sharon, bist du nur zu mir gekommen um mich über Brian auszufragen?"
"Nein, natürlich nicht. Ich wollte eigentlich nur fragen ob du nächste Woche auch bei der Restauranteröffnung dabei bist?"
"Was für eine blöde Frage! Natürlich bin ich dabei, schließlich ist es mein Vater der es eröffnet. Glaubst du sie würden mir erlauben zu so einem Ereignis zu Hause zu bleiben."
"Nein, schon klar das du dabei bist, ich wollte halt nur sichergehen.
Kommt Jordan auch?"
Darüber hatte Angela bisher gar nicht nachgedacht. "Keine Ahnung, vielleicht."
Sie fragte sich ob Jordan zu einer Restauranteröffnung mitkommen würde. Sharon fragte noch irgendetwas, doch Angela hörte ihr nicht zu. Sie wühlte in ihrem Rucksack, doch sie konnte den Brief einfach nicht finden. "Wo steckt dieser verdammte Brief!", fluchte sie leise, und kaum hatten die Worte ihren Mund verlassen, da fiel ihr es wieder ein. Sie hatte ihn auf den Rucksack gelegt, aber sie konnte sich nicht daran erinnern ihn wieder hineingetan zu haben, also würde er wahrscheinlich noch dort liegen. Sie rannte sofort los, und Sharon blickte ihr mit offenem Mund hinterher.

Völlig außer Atem erreichte sie den Platz an dem sie vorhin gesessen hatte, doch der Brief war nicht da.

"Ein Liebesbrief!" Entfuhr es ihm nachdem er das Blatt Papier auseinander gefaltet hatte. Nach dem Training hatte er sich noch ein wenig auf der Tribune ausgeruht und nur durch Zufall hatte er den Brief entdeckt, die Abdrücke seiner Schuhe waren immer noch deutlich zu erkennen. Angela? Hatte er nicht vorhin ein Mädchen hier sitzen sehen? Er glaubte schon, doch so genau hatte er nicht darauf geachtet. Er kannte keine Angela, aber dies war ja auch schließlich nicht seine Schule. Das Leichtathletik-Team seiner Schule durfte hier nur trainieren, da es an seiner Schule keinen Sportplatz gab. Er fragte sich ob sie den Brief bewusst weggeworfen hatte oder ob sie ihn vielleicht verloren hatte. "Ich hätte noch etwas warten sollen, vielleicht wäre sie ja noch aufgetaucht", verfluchte er sich selbst und warf einen unentschlossenen Blick auf den Brief. Sollte er ihn lesen? Neugierig war er schon, aber er faltete ihn trotzdem wieder zusammen, steckte ihn in seinen Rucksack und machte sich auf den Weg ins Schulgebäude, sein Mathelehrer hasste unpünktliche Schüler.

Niedergeschlagen trottete Angela zum Hauptgebäude zurück, der Brief war nicht wieder aufgetaucht, obwohl sie eine halbe Stunde lang alles abgesucht hatte. "Hoffentlich hat ihn niemand anderes gefunden, wer weiß was derjenige damit anstellt." Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihren Brief schon im Kopierer, von wo aus er seinen Siegeszug über die gesamte Schule antreten würde um sie endgültig zum Gespött der anderen zu machen, allein schon die Vorstellung daran ließ beinahe Panik in ihr aufsteigen. Sie wollte die Schule nicht wechseln, aber wenn dieser Brief jetzt in der Mädchentoilette am Spiegel kleben würde blieb ihr wohl gar keine andere Wahl.
"So schlimm wird es schon nicht werden", versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Plötzlich blieb sie wie vom Blitz getroffen stehen :"Oh mein Gott, und wenn er nun auf der Herrentoilette hängt?" Sie rannte los.

"Rickie! Angela rannte ihn fast über den Haufen, doch sie schaffte es gerade noch rechtzeitig stehen zu bleiben und stand nun vollkommen außer Atem und mit einem knallroten Kopf vor ihm.
"Der Brief", stammelte sie undeutlich. "Ja?"
"Der Brief, ich...ich hab ihn verloren."
"Den Liebesbrief?"
"Ja."
"Soll ich dir suchen helfen?"
Angela schüttelte den Kopf und zog ihn mit sich.
"Wohin gehen wir?"
"Du musst mir einen gefallen tun, Rickie, auf der Mädchentoilette hab ich schon nachgesehen."
Die beiden standen nun nur noch wenige Schritte von der Tür zur Herrentoilette entfernt und Rickie sah sie fragend an :"Wieso soll ich denn hier nachsehen. Du wirst ihn wohl kaum auf dem Jungenklo verloren haben, oder?"
"Aber vielleicht hat jemand anderes den Brief gefunden, ich will nur sicher gehen das er nicht irgendwo dort drinnen an der Wand hängt."
"Oh, das wäre wirklich ziemlich peinlich."
"Du sagst es, also geh schon rein", erwiderte sie ungeduldig und schob ihn Richtung Tür.
"Nein, Stopp, nicht schon wieder! Vorhin war ich schon da drinnen um mit Brian zu reden, und einmal in der Woche diesen Ort aufzusuchen reicht völlig aus. Angela, du bist wahrscheinlich meine beste Freundin, aber irgendwo muss ich eine Grenze setzen."
"Rickie, bitte, bitte ,bitteeeeeee!"

"Wo bleibt er denn so lange?" Mit jeder Sekunde stieg ihre Nervosität, sie hatte das Gefühl als wäre Rickie schon mindestens 5 Minuten dadrinnen, auch wenn es in Wirklichkeit bisher allerhöchstens 90 Sekunden gewesen waren. Endlich ging die Tür auf und...zwei herumalberte und vorsichhingrinsende Football-Spieler kamen heraus.
Angela blieb beinahe das Herz stehen :"Das war's, ich bin erledigt."
Doch bevor sie dazu kam noch tiefer in Selbstmitleid zu versinken öffnete sich die Tür abermals und diesmal war es wirklich Rickie.
Sofort stürmte Angela auf ihn zu :"Und?"
"Kein Brief."
"Gott sei dank, als ich die beiden Typen rauskommen sah dachte ich schon..."
"Wo hast du den Brief überhaupt verloren?"
"Auf dem Sportplatz."
"Und da bist du dir ganz sicher. Vielleicht liegt er ja doch noch in deinem Spind, oder im Rucksack."
"Nein, da hab ich doch zu allererst nachgesehen. Er ist weg."
"Am besten wir schauen trotzdem noch mal nach, er kann ja nicht spurlos verschwunden sein. Was hast du überhaupt auf dem Sportplatz zu suchen gehabt, du hast doch heute gar keinen Sportunterricht."
"Ich wollte nur ein bisschen nachdenken, es ist zur Zeit alles so verwirrend."
"War sonst noch jemand auf dem Sportplatz?"
"Nur ein paar Leichtathleten."
"Vielleicht hat einer von denen den Brief gefunden."
"Möglich wäre es", erwiderte Angela, "Kennst du einen von denen?"

"Das Glück hat mich wirklich verlassen." Enttäuscht schüttelte Angela den Kopf. "Kopf hoch, Angela, immerhin wissen wir jetzt das die Typen auf dem Sportplatz nicht auf unsere Schule gehen."
"Und bringt uns das irgendwie weiter? Nein! Wie konnte ich nur so dämlich sein und den Brief verlieren."
Wütend trat sie gegen ihren Spind, wütend das sie den Brief, ausgerechnet diesen Brief verschlampt hatte.
"Mist!"

Entspannt lag er auf seinem Bett, den Blick an die helle Decke gerichtet. Der Brief lag neben ihm auf der Bettdecke, letztendlich hatte seine Neugierde doch gesiegt. Immerhin hätte es ja seinen können das der Brief noch weitere Informationen enthält die ihm behilflich gewesen wären Angela ausfindig zu machen. Zumindest war das seine Entschuldigung gewesen ihn doch zu lesen, auch wenn er sich nur schwer vorstellen konnte das der Absender seine genaue Anschrift unten angeführt hatte. Also lass er den Brief, dreimal, und war nun immer noch genau so schlau wie vorher. Es klopfte an der Tür, doch er hatte die Musik so laut aufgedreht das er es gar nicht hörte, genauso wenig wie das Quietschen der Tür. "Hey Brüderchen, was machst du gerade?", stürmte seine Schwester ins Zimmer und warf sich neben ihn aufs Bett, wobei sie direkt auf dem Brief landete. "Was ist denn das?", fragte sie und fing an an dem Stück Papier unter ihrem schlanken Körper herumzuzerren. "Mach ihn doch nicht kaputt!", fuhr er sie an und schob sie Richtung Bettkante, bis es ihm endlich gelang den Brief in Sicherheit zu bringen, zumindest für ein paar Sekunden. Anstatt den Brief sofort in seine Nachttischschublade zu packen zögerte er einen Augenblick, und ehe er sich versah hatte seine Schwester, die ihn in Sachen Neugierde locker übertraf, den Brief in ihren Besitz gebracht. Sie zögerte nicht und fing sofort an ihn zu lesen, wahrscheinlich in der Hoffnung etwas zu erfahren mit dem sie ihren Zwillingsbruder aufziehen konnte. Er seufzte, versuchte aber gar nicht erst ihr den Brief zu entreißen.
Dafür war es eh zu spät. "Hey Dylan, wer ist Angela?", fragte sie ihn und legte den Brief auf seinen Bauch. "Ich kenn sie nicht."
"Na klar, und warum schreibst du ihr dann Liebesbriefe?"
"Der ist nicht von mir", verteidigte er sich, "Denn hab ich heute auf dem Sportplatz der Liberty High gefunden."
"Natürlich", spottete Amy, "Und ich dachte schon du hast ihn für das Mädchen aus deinem Biokurs geschrieben.
Du weißt schon, die kleine Blonde auf die du so scharf bist."
"Erstens heißt die nicht Angela sondern Jennifer, und zweitens ist sie überhaupt nicht mein Typ."
"Da hat Sean mir aber was anderes erzählt."
"Ich hab ihn aber wirklich gefunden", versuchte er das Thema wieder in einen andere Richtung zu lenken, er hatte wirklich keine Lust mit seiner vorlauten Schwester sein Liebesleben zu diskutieren, besonders da es dort nicht viel zu diskutieren gab.
"Und warum hast du den Brief behalten?"
"Ich dachte ich bewahre ihn auf bis, na ja, bis ich sie gefunden hab, und dann gebe ich ihr den Brief."
"Falls sie ihn überhaupt wiederhaben will."
"Glaubst du sie hat ihn absichtlich weggeworfen?"
"Keine Ahnung, ich kenne diese Angela ja nicht mal."
"Ich werde ihr den Brief trotzdem wiedergeben."
"Und wie willst du sie finden?"
"Ich stell mich einfach vor ihre Schule und warte bis sie herauskommt."
"Also weißt du wie sie aussieht?"
"Ich...äh...nein, so richtig gesehen hab ich sie eigentlich nicht."
"Guter Plan, Bruderherz. Willst du jedes Mädchen ansprechen und fragen ob ihr zufällig dieser Liebesbrief gehört. Wenn ja sag bescheid, das lass ich mir auf keinen Fall entgehen", spottete sie und erhob sich von seinem Bett.
"Sehr witzig, Amy, du bist mir wieder eine sehr große Hilfe", erwiderte er säuerlich.
"Ich mach doch nur Spaß", lachte Amy und gab ihm einen Kuss auf die Wange, "Ich bin natürlich gern bereit dir bei der Suche zu helfen."
Sie lächelte ihn an und ein Blick in ihre grünen Augen genügte und sie hatte gewonnen. Man konnte ihr einfach nicht böse sein.
"Und hast du schon eine Idee, wie wir sie finden sollen, Amy?"
"Keine Angst, Dylan, mir fällt schon etwas ein."

Song : "Sparkle" von Everclear Gedicht : aus "20 Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung" von Pablo Neruda

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Reviews for this story

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Average: 4.0/5   4.0/5 (6 votes)
  • Bernd Dtzer gave this story a 5.0/5 5.0/5 rating and commented on 21 Mar 2022:
    Tolle Fortsetzung, die Lust auf noch viel mehr macht! Leider scheint es aber keine Fortsetzung zu geben, es ist fast so wie wenn ich EPISODE 20 von MSCL anschaue ... hoffnungslos, mehr zu bekommen.
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“My dad thinks every person in the world is having more fun than him.”

Angela Chase, Episode 1: "My So-Called Life (Pilot)"